Digitale Sprachassistenten, personalisiertes Marketing, Chatbots: Auch wenn Künstliche Intelligenz (KI) noch immer mit einem negativen Image zu kämpfen hat, ist sie in einigen Bereichen schon Teil unseres alltäglichen Lebens geworden. Auch bei der detaillierten Verarbeitung großer Datenmengen, also in der Big Data Analytics, bieten lernende Algorithmen vielversprechende Möglichkeiten, Prozesse zu beschleunigen, ohne dass bei sich verändernden Bedingungen jedes Mal neu programmiert werden muss.
Das kann auch im Recruiting hilfreich sein: beispielsweise bei der Suche geeigneter Kandidat:innen sowie der Verarbeitung und Beurteilung von Bewerbungen. Doch für welche (Teil-)Prozesse der Personalsuche sollte man KI einsetzen? Und für welche lieber nicht? Auf diese Fragen möchte ich heute eine Antwort finden.
Was genau ist überhaupt Künstliche Intelligenz?
Den Begriff KI hört man mittlerweile in fast allen Bereichen – mit zum Teil ganz unterschiedlicher Interpretation. Das liegt daran, dass es sich bei der Künstlichen Intelligenz um ein gesamtes Themenfeld, nämlich ein Teilgebiet der Informatik handelt. Deshalb variiert auch das Verständnis so stark. In klassischen Science Fiction-Filmen taucht häufig die sogenannte starke KI auf: Maschinen, die selbstständig lernen und jede Art von Problem lösen können. Das bleibt allerdings nachwievor reine Fiktion.
In Realität findet bislang nur schwache KI Anwendung: komplexe Algorithmen, die darauf programmiert sind, bestimmte Fragen und Problemstellungen anhand erlernter Zusammenhänge zu lösen. Sie tauchen im Alltag bereits in Handys und Computern auf, wann immer regelbasierte Programme für die Komplexität eines Problems nicht ausreichen - beispielsweise bei der automatischen Gesichtserkennung. Je mehr Input der Algorithmus bekommt, desto genauer kann er einzelne Gesichter erkennen und Personen zuordnen.
Wurde die KI einmal auf die Anwendung einer oder mehrerer Grundregeln programmiert, kann sie diese mit wachsender Datenmenge immer weiter verinnerlichen und an Genauigkeit dazugewinnen. Dieses Prinzip bietet ein enormes Potential für die Wirtschaft. Die Bundesregierung schätzt, dass der Anteil von KI an der künftigen Wertschätzung bis 2025 auf über ein Drittel anwachsen wird. Und auch im Recruiting wird man sich langsam der Möglichkeiten dieser Technologie bewusst.
Einsatzmöglichkeiten im Recruiting
Durch die automatisierte Verarbeitung größerer Datenmengen können grundlegende Auswahlentscheidungen von Künstlicher Intelligenz deutlich schneller getroffen werden als von “echten” Personaler:innen. So können beispielsweise Karrierenetzwerke von entsprechenden Algorithmen gescannt werden, um geeignete Kandidat:innen zu finden. Durch die anschließende Rückmeldungen der Personalverantwortlichen zur Eignung der Kandidatenauswahl kann die KI ihre Entscheidungsfindung immer weiter optimieren.
Und auch im Bewerbungsprozess kann Künstliche Intelligenz unterstützen: Bewerber:innen können sich bei einfachen und allgemeinen Fragen an Chatbots wenden und teilweise sogar Terminvereinbarungen mit ihnen durchführen. Die Einfachheit und Schnelligkeit der Maßnahme kann die Candidate Experience maßgeblich verbessern.
Beim sogenannten CV-Parsing übernimmt KI die erste Durchsicht von eingegangenen Bewerbungsunterlagen. Gibt man ihr ein paar Kriterien zur Einordnung an die Hand, kann sie bei der Vorauswahl von Kandidat:innen unterstützen, indem sie die Qualität von Schreiben und Unterlagen einschätzt und mittels Matching Vorschlagslisten erstellt.
Zur Vorbereitung von Vorstellungsgesprächen kann Künstliche Intelligenz bei der Fragenentwicklung und -auswahl helfen. Das bringt nicht nur Zeitersparnis, sondern auch den Vorteil mit sich, dass verschiedene Bewerbende besser miteinander verglichen werden können.
Bislang selten und äußerst umstritten ist der Einsatz von KI in Bewerbungsgesprächen. Dabei bietet sich nicht nur die Möglichkeit, einen Video-Chatbot als Kommunikationsmedium einzusetzen. Einige (bisher wenige) Arbeitgeber nutzen die Technologie dabei auch “versteckt” zur genauen Analyse von Sprache, Betonung und Mimik, um daraus Rückschlüsse auf Charaktereigenschaften und Einstellungen zu ziehen.
Die Chancen
Keine Frage: Teile des Rekrutierungsprozesses können durch den Einsatz von KI beschleunigt werden. Besonders bei der Suche nach geeigneten Talenten für eine schwer zu besetzende Stelle können so insgesamt deutlich mehr Personen in Betracht bezogen werden. Durch die höhere Quantität der potenziellen Kandidat:innen nimmt vermutlich auch die Qualität der letztendlich eingestellten Talente zu. Zudem sind die Auswahlentscheidungen genau nachvollziehbar und in sich konsistent, da sie auf konkret festgelegten Kriterien basieren, die von der KI einfach reproduziert werden.
Besonders die sonst sehr zeitaufwändigen Aufgaben im Recruiting können menschlichen Personalverantwortlichen also von Künstlicher Intelligenz abgenommen werden. Das führt zu Entlastung, sodass letztlich mehr Zeit für die persönliche Betreuung von Bewerbenden bleibt. Für die Bewerber:innen bringt das natürlich auch Vorteile mit sich, denn die Feedbackzeiten des Unternehmens können so drastisch reduziert werden.
Die Risiken
Die Frage nach “besseren” Auswahlentscheidungen durch KI muss allerdings von zwei Seiten betrachtet werden. Einerseits kann man argumentieren, dass Algorithmen fairere Entscheidungen treffen, weil diese frei von menschlichen Vorurteilen, unbewußten Vorurteilen (engl. unconscious bias), Emotionen und Willkür sind – und somit nicht diskriminieren. Allerdings lernen KIs durch eingespeiste Datensätze: Durch verzerrte Trainingsdaten oder Vorurteile der Entwickler:innen, könnte die KI womöglich falsche Zusammenhänge ziehen, selbst diskriminierende Entscheidungen treffen und diese Fehler durch die große Menge an bearbeiteten Daten hochskalieren.
Die Reproduktion immer gleicher Auswahlkriterien kann außerdem zu einer Abnahme der Diversität im Unternehmen führen, die eigentlich eine wichtige Bereicherung für die Unternehmenskultur darstellt. Auch hier kommt es also stark auf Programmierung und Trainingsdaten an - treten Fehler oder Ungleichgewichte auf, kann das schwere Folgen haben.
Noch fehlt es dem Feld an Transparenz und ethischen Richtlinien, die dem Einsatz von KI im Recruiting einen für alle vertretbaren Rahmen setzen. Gerade den Einsatz im Bewerbungsgespräch sehe ich dabei als besonders kritisch an: Dabei beschäftigt mich nicht nur die Frage nach Ethik und Moral, sondern auch, dass es gerade im direkten Kontakt zu den Kandidat:innen auf zwischenmenschliche Fähigkeiten wie Empathie, Sympathie sowie die Vermittlung von Respekt und Wertschätzung ankommt. Gelingt es nicht, individuell auf Bewerber:innen einzugehen und Commitment zu zeigen, geht schnell das Interesse an der vakanten Stelle verloren.
Die Datenschutzproblematik
In Deutschland spielt der Schutz von personenbezogenen Daten eine große Rolle. Auch im Recruiting - bei dem es vordergründig nunmal um die Auswertung und Interpretation solcher personenbezogener Daten geht. Deshalb gelten strenge Regelungen, die den Einsatz von KI im Recruiting ohne Zustimmung der Kandidat:innen stark einschränkt. Bewerber müssen der Verwertung der Daten zustimmen, auch zum Einsatz als Trainingsdaten. Wichtig ist dabei auch, dass eine solche Einwilligung freiwillig erfolgt - und mal ehrlich, wenn das Talent bei einer Ablehnung aus dem Bewerbungsverfahren ausgeschlossen wird, weil seine Daten nicht verarbeitet werden können, dann kann von einer freiwilligen Entscheidung nicht die Rede sein.
Deshalb wird der Einsatz von KI im Recruiting nur funktionieren, wenn er komplett transparent gestaltet wird, die Arbeit der Künstlichen Intelligenz permanent überwacht und bei Schwächen oder Fehlern angepasst wird. Das dürfte neben der Lösung von Datenschutzproblemen noch einen weiteren Vorteil mit sich bringen: Denn vermutlich wird so die Akzeptanz gegenüber KI im Recruiting auch steigen.
Eine Zukunftsvision: KI schlägt vor, Menschen entscheiden
Ziel des Recruitings sollte immer ein “Perfect fit” zwischen Mensch und Unternehmen sein. Dazu gehören natürlich Hard Skills, die vom Unternehmen gebraucht werden und unentbehrlich sind. Aber: Genauso wichtig ist es, dass Mitarbeitende die gewünschten Soft Skills mitbringen, dass ihr Wesen zum Unternehmen passt, dass gemeinsame Werte vorhanden sind und dass neue Teammitglieder sich mit ihrer Arbeit identifizieren können.
Geht es um den ersten Part, also um die “harten Fakten”, dann können gut programmierte und geübte KIs sicherlich eine hilfreiche Unterstützung darstellen. Aber für die Bewertung von Soft Skills und Charakter braucht es echte Menschen, die schnell ein Gespür für ihr Gegenüber entwickeln, die empathisch sind und interpersonelle Signale deuten können. Nicht zuletzt, weil sie selbst menschliche Nähe erzeugen, mit der sich Bewerbende identifizieren können.
Deshalb halte ich es zwar für durchaus sinnvoll und zukunftsträchtig, dass KI in bestimmten Bereichen des Recruitings eingesetzt wird: Möglichst da, wo es um die Übertragung und Auswertung von Daten und Fakten geht und nicht um deren Interpretation. Das spart Personalverantwortlichen Zeit. Zeit, die sie selbst für den zwischenmenschlichen Kontakt nutzen können, beispielsweise um sich mit ihren Kandidat:innen auszutauschen, Vorstellungsgespräche zu führen oder das Onboarding zu gestalten.
Künstliche Intelligenz kann unterstützen, indem sie sortiert, Wahrscheinlichkeiten berechnet, Vorschläge anhand von Datensätzen macht - aber die letztendliche Einstellungs- oder Ablehnungsentscheidung sollte immer von Menschen getroffen werden. Die Zukunft liegt also in einer optimierten Zusammenarbeit von Mensch und Technologie, in der Stärken genutzt und Schwächen ausgeglichen werden.
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