"The greater the contrast, the greater the potential. Great energy only comes from a correspondingly great tension of opposites." - Dieses Zitat stammt von Carl Gustav Jung, dem Begründer der analytischen Psychologie. Gelebt hat er von 1875 bis 1961. Warum ich diese Worte mit Ihnen teile? Weil auf diesem Zusammenspiel von Gegensätzen eine moderne Arbeitsmethode basiert, um die es heute gehen soll: nämlich die Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams.
Ein Beispiel dafür sind Software Development-Teams, in denen nicht mehr nur ausschließlich Programmierer:innen vertreten sind, sondern auch Expert:innen aus anderen Fachbereichen. Etwa aus der Psychologie, dem Marketing oder dem Mediendesign - die möglichen Zusammensetzungen und Einsatzmöglichkeiten von interdisziplinären Teams sind nahezu unbegrenzt. Denn grundsätzlich gilt: Je mehr Perspektiven während der Entwicklung eines Produkts oder bei der Lösung eines Problems eingenommen werden, desto eher werden alle Bedürfnisse einer vielfältigen Nutzerschaft erfüllt.
Folgt man diesem Zitat blind, könnte man dazu geneigt sein, seine Teams ab jetzt einfach auszuwürfeln - ganz so einfach ist es aber natürlich nicht. Im Folgenden möchte ich darauf eingehen, was Sie beachten müssen, um das Konzept erfolgreich in die Tat umzusetzen.
Vorbereitung ist die halbe Miete
Wie nahezu alle relevanten Entscheidungen mag auch eine Umstellung auf die Arbeit in interdisziplinären Teams gut vorbereitet sein. Zuallererst stellen sich dabei zwei Fragen:
“Brauchen wir interdisziplinäre Teams?” und “Können wir überhaupt interdisziplinäre Teams?” Sind zum Beispiel die zu erledigenden Tasks sehr linear und verlangen vergleichsweise wenig kreatives Potential, kann das Hinzuziehen zusätzlicher Köpfe auch den sprichwörtlichen Brei verderben. Besonders bei kleineren Unternehmen stellt sich außerdem die Frage, ob unmittelbar überhaupt die Ressourcen verfügbar sind, um ein interdisziplinäres Team zusammenzustellen. Ist dies nicht der Fall, muss abgewägt werden, ob der zu erwartende Nutzen den (auch finanziellen) Aufwand überwiegt. Gerade in diesem Fall lohnt es sich, die Stärken und Schwächen des aktuellen Teams mit der Zielsetzung für bevorstehende Projekte abzugleichen, um festzustellen, wo Mängel bestehen und wie gravierend diese sind.
Sind die Felder Bedarf und Machbarkeit auf der Checkliste abgehakt, können Sie mit konkreten Vorbereitungen starten. Schon ab diesem Zeitpunkt sollten diejenigen Arbeitnehmer:innen, die von der Umstrukturierung betroffen sind, miteinbezogen werden. Dabei gilt es, eine Abwehrhaltung von Seiten der Teammitglieder zu verhindern - tritt diese nämlich erstmal auf, steht das gesamte Vorhaben auf wackeligen Beinen. Vielmehr muss der Fokus auf die Möglichkeiten, die sich aus der Veränderung ergeben, gerichtet werden. Denn wem ist nicht daran gelegen, dass das Produkt, an dem man mitwirkt, noch besser wird?
Mit diesem gemeinsamen Ziel muss dann herausgearbeitet werden, an welchen Stellen das Team noch Unterstützung und neue Perspektiven vertragen kann, um anschließend die Suche nach der geeigneten Verstärkung zu starten. Auch hier kann es viel wert sein, das Team am Entscheidungsprozess teilhaben zu lassen.
Doch wer gehört eigentlich in ein interdisziplinäres Team?
Grundsätzlich können interdisziplinäre Teams aus Expert:innen unterschiedlichster Fachrichtungen bestehen. Welche Expertise gefragt und sinnvoll ist, kann pauschal nicht beantwortet werden - denn die fachbereichsübergreifende Zusammenarbeit wird nicht nur in der IT, in Naturwissenschaften oder im Ingenieurwesen, sondern beispielsweise auch in Kliniken und der Pflege praktiziert. Deshalb muss jeweils für das entsprechende Projekt “outside the box” gedacht werden.
Doch abgesehen von ihrem jeweiligen Fachbereich müssen die Teammitglieder selbst unterschiedliche Rollen in der Gruppe vertreten. Damit alle Stärken konstruktiv eingesetzt werden können, sollten Sie Ihre Mitarbeitenden, deren Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen genau kennen und einschätzen können. Wahrscheinlich tun Sie das bereits - die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen kann Ihnen aber noch einmal dabei helfen, Ihr Wissen auf den Punkt zusammenzufassen. Das sogenannte DISG- Modell bietet eine hilfreiche Einteilung in verschiedene Persönlichkeitstypen: Hier wird zwischen den vier Verhaltensstilen „dominant", „initiativ", „stetig" und „gewissenhaft" unterschieden.
Kommunikation und der Umgang mit Konflikten
Zu Beginn sollte für ein entspanntes Kennenlernen und eine positive Arbeitsatmosphäre gesorgt werden. Dazu sollten die Wichtigkeit und Aufgaben der unterschiedlichen Fachbereiche untereinander besprochen und gegebenenfalls auch festgehalten werden. So fällt es leichter, Informationen und Argumente inhaltlich einzuordnen - Missverständnisse und das Persönlich-Nehmen von Kritik werden vermieden.
Ein essentieller Grundstein ist außerdem ein konstruktiver Umgang mit Konflikten. Denn es sind gerade Meinungsverschiedenheiten, die dieses Konzept ausmachen und zu mehr Kreativität und Innovation führen sollen. Allerdings nur, wenn auf die richtige Art und Weise kommuniziert wird und jedes Teammitglied dazu bereit ist, die eigene Ansicht im Sinne des gemeinsamen Vorhabens auch mal hinten anzustellen. Hier kann auch mit einem Kommunikationstraining nachgeholfen werden. Außerdem müssen Sie als Führungskraft gegebenenfalls moderieren und im Zweifelsfall auch mal die entsprechenden Entscheidungen treffen.
Ist die Dynamik erstmal ins Rollen gebracht und Ihr Team an die neue Arbeitsweise gewöhnt, können Sie die Früchte für die Vorarbeit ernten und werden immer wieder feststellen, dass nicht nur die Flexibilität und Kreativität, sondern auch die Problemlösungskompetenz massiv gesteigert wurde.
Mit interdisziplinären Teams gegen den Fachkräftemangel?
Darüber hinaus bieten interdisziplinäre Teams eine weitere Chance: Mit ihnen können Sie den Fachkräftemangel zwar nicht im eigentlichen Sinne bekämpfen, ihn aber geschickt umgehen. Denn andere Fachbereiche mögen auch von ihm betroffen sein, jedoch klafft in keiner Profession eine Lücke zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt wie bei den ITler:innen.
Wenn man sich zudem vor Augen hält, dass beispielsweise ein großer Teil der Softwareprojekte oft nicht an technischen Faktoren scheitert, sondern am Projektmanagement oder dem fehlenden Verständnis dafür, was eine Software am Ende wirklich bieten muss, kann es geradezu Wunder wirken, Expert:innen aus diesen Gebieten ins Team zu holen. Fehler, die aus Unwissenheit auftreten, können verhindert werden - die IT-Fachkräfte können sich auf den Kern ihres Kompetenzbereichs konzentrieren und effizienter arbeiten.